Als die Russen flohen und ihre Löffel zurückliessen

Bild: Martin Zeller

Ein Beitrag von Jonas Bühler.

Viele der Gegenstände im Oberhaus haben eine Geschichte zu erzählen. Oft sind es ganz einfache, alltägliche Geschichten: Eine Grussmutter näht eine Puppe für ihr frisch geborenes Enkelkind, Verwandte von einem anderen Hof schicken einen Obstkorb.

Manche Objekte erzählen jedoch ziemlich abenteuerliche Geschichten. Eine regelrechte Räuberpistole ist zu fünf mit kyrillischen Schriftzeichen versehenen Silberlöffeln überliefert, die auf dem Esstisch im Windengang ausgestellt sind.

Auf dem Inventarblatt zu diesen Löffeln vermerkte Rosmarie Bühler-Wildberger folgende Geschichte: «Wurden gefunden von Fam. Boller in Hinteregg. Ein russischer Heerzug befand sich auf der Forchstrasse in Marsch Richtung Zürich. Von dort wurden sie von Massénas Truppen angegriffen, und nachdem die Vorhut der Russen sich zur Flucht wandte, schnitten die Trosssoldaten die Zugstangen der Pferde durch, sassen auf die Pferde und flohen. Die Geschütze, Munitionswagen und sämtliches Kriegsgerät, auch eine gut gefüllte Kriegskasse, liessen sie liegen, auch der Tross der Heeresleitung mit besonders kostbarem Gerät und dem Tafelsilber befand sich auf dem Gebiet der Gemeinde Egg. Die Einwohner nahmen sich der herrenlos gewordenen Dinge gerne an. Diese Löffel wurden von Fam. Boller ehrenhaft aufbewahrt. Albert Bühler-Boller ass jahrelang damit.»

Gemälde von General Masséna und den französischen Truppen bei der Zweiten Schlacht um Zürich
General Masséna und die französischen Truppen schlugen das russische Heer bei der Zweiten Schlacht um Zürich in die Flucht.

Aus welchen Quellen diese Geschichte stammt und wie viel davon stimmt, ist unklar. Zwar ist historisch verbrieft, dass die französischen Truppen unter General Masséna einen Teil des russischen Heeres unter General Rimski-Korsakow am 26. September 1799 über die Forch in die Flucht schlugen. Auch, dass die Russen dabei viel Material liegen liessen, scheint gesichert. Ob die Löffel jedoch tatsächlich an diesem Tag erbeutet wurden oder von russischen Offizieren zurückgelassen wurden, die man auf dem Hof in Hinteregg einquartieren musste, lässt sich heute nicht mehr sagen.

Eine gute Geschichte ist es allemal. Und es klingt natürlich kühner, zu sagen, man habe die Löffel dem Feind bei der Flucht abgenommen, als dass sie von den Besatzern stammen, die einen zwangen, sie im eigenen Haus zu bewirten.

Aufgrund des letzten Satzes der Notiz von Rosmarie Bühler-Wildberger lässt sich vermuten, dass die Anekdote von ihrem Schwiegervater Albert Bühler-Boller stammt. Der Hauptmann, dem das Militärische zeitlebens sehr wichtig war, dürfte gerade auch vor dem Hintergrund des kalten Kriegs die Erzählung von der Kriegsbeute bevorzugt haben.

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