Ordnung ist das halbe Leben – die Erschliessung der Archivbestände des Oberhaushofs

Ein Beitrag von Florian Christen, Staatsarchiv Zürich.

Zugegeben: Die Redensart «Ordnung ist das halbe Leben» mag im Alltag etwas abgedroschen klingen. Auf die Archivierung im Allgemeinen und auf die Erschliessung des Archivbestands der Familie Bühler im Speziellen trifft sie jedoch in sehr konkreter Weise und in mehrfacher Hinsicht zu. Rosmarie Bühler-Wildberger hat im wahrsten Sinne des Wortes ihr «halbes Leben» der Dokumentation, der Sortierung und der Inventarisierung des Haus- und Familienarchivs (sowie der Objekte) gewidmet.

Die erstellte Ordnung erlaubte es ihr, eine Übersicht über die riesige Menge an Objekten und Unterlagen im Oberhaus zu gewinnen, Ähnliches zusammenzuhalten und die unzähligen Objekte, Briefe, Fotografien etc. einzelnen Personen zuordnen zu können. Auch wir im Staatsarchiv konnten uns nun an dieser bestehenden Ordnung orientieren. In meinem Tätigkeitsgebiet, der Erschliessung, spielt Ordnung ebenfalls eine zentrale Rolle. Der Hauptzweck dieses Teilprozesses der Archivierung liegt darin, Unterlagen so aufzubereiten, dass sie für zukünftige Nutzer*innen auffindbar sind, also im Online-Katalog gefunden und zur Einsicht in den Lesesaal bestellt werden können. Die Aufgabengebiete der Erschliessung bestehen im Ordnen, Verzeichnen und Durchführen von sogenannten «niederschwelligen konservatorischen Massnahmen» wie beispielsweise der Entfernung von Plastik und rostigem Metall.

Ordnung hat in diesem Zusammenhang zwei Bedeutungen: Einerseits braucht es eine physische Ordnung der (zumeist noch analogen) Originalunterlagen, andererseits eine virtuelle Ordnung im Sinne der inhaltlichen Beschreibung der Unterlagen, der Bildung und Anordnung einzelner Bestelleinheiten und ihrer strukturierten Darstellung in einem mehrstufigen Archivplan (Baumstruktur; siehe Bild 1 weiter unten).

In einem Archiv wie demjenigen der Familie Bühler mit Inventaren einerseits, aber vor allem mit zuverlässigen Beschriftungen auf Ordnern und Schachteln und den weissen Einlagezetteln mit präzisen Angaben über Lebensdaten und Verwandtschaftsgrade wird nur dann in die physische Ordnung eingegriffen, wenn dadurch die langfristige Erhaltung der Unterlagen begünstigt und eine optimale Ausnützung der begrenzten räumlichen Ressourcen erzielt werden kann. So werden die Fotoalben, die Negativglasplatten der Familie Boller oder die Filme von Bertha Bühler (1890–1967) in einem separaten und kühleren Magazin gelagert als Papierunterlagen. Grossformatige Pläne oder Zeichnungen werden ebenfalls separat in Planschränken aufbewahrt, um die begrenzten räumlichen Ressourcen optimal auszunutzen.

Zunächst ging es für mich in der Erschliessung des Bestands der Familie Bühler darum, eine Bearbeitungs-Reihenfolge festzulegen und einen Zeitplan zu erstellen – jeweils in enger Abstimmung mit der Abteilung Beständeerhaltung, die unter anderem die Restaurierungsarbeiten durchführt. So wurde festgelegt, dass das Archiv in vier Tranchen erschlossen werden soll: Die erste Tranche besteht in erster Linie aus der «Stammsammlung» mit den Dokumentationen zu Personen und Familien, aus Korrespondenz, Steuerunterlagen, Rechnungsbelegen, Prospekten usw. Diese Tranche konnte Ende 2022 abgeschlossen werden. Parallel dazu begann eine studentische Mitarbeiterin mit der Erschliessung der zweiten Tranche bestehend aus Schulheften, Postkartensammlung, Fotoalben und losen Fotografien, Glasplatten und Filmen, während die Beständeerhaltung bereits mit der Restaurierung der Unterlagen der dritten und der vierten Tranche begann, die unter anderem Militärunterlagen, Diplome, Pläne und Zeichnungen sowie gebundene Unterlagen wie Kochbücher oder landwirtschaftliche Publikationen umfassen.

Parallel zur organisatorischen Übersicht mussten wir eine inhaltliche Übersicht gewinnen. In einem Familienarchiv heisst das vor allem: Lebenszeiten, berufliche und private Tätigkeiten sowie Funktionen und Beziehungsgeflechte der Familienmitglieder ermitteln und alle Unterlagen den betreffenden Personen zuordnen. Dabei half uns die Ordnungsarbeit von Rosmarie Bühler-Wildberger und ebenso das Buch von Elisabeth Joris und Martin Widmer. Mit der inhaltlichen Übersicht begann auch die Erstellung der «virtuellen Ordnung»: In einer mehrstufigen Baumstruktur (Archivplan) werden die Personen, ihre Haupttätigkeiten, aber auch der Landwirtschaftsbetrieb oder der Haushalt als Knotenpunkte eingefügt (siehe Bild 1).

Screenshot der Baumansicht im System des Staatsarchivs
Bild 1: Baumansicht Fonds Bühler in scopeArchiv

Darunter werden die Unterlagen in mit eindeutiger Signatur versehenen Verzeichnungseinheiten beschrieben. Diese Verzeichnung und das Erstellen einer Ordnungsstruktur nehmen wir im Archivinformationssystem (AIS) vor. Die Verzeichnung ist an internationalen Standards ausgerichtet. Im Informationssystem sind gewisse Datenbankfelder definiert, die für jede Verzeichnungseinheit ausgefüllt werden müssen, wie Signatur, Titel, Zeitraum, in welchem ein Geschäft Zuwachs erhielt, und Provenienz, womit bezeichnet wird, wer Unterlagen erzeugt oder zuletzt massgeblich verändert hat. Gleichzeitig werden Schutzfristen vergeben, die bestimmen, wie lange die Unterlagen allenfalls noch unter Datenschutz stehen (siehe Bild 2).

Screenshot eines Eintrags in System des Staatsarchivs
Bild 2: Detailansicht Verzeichnung Poesiealbum in scopeArchiv

Diese «virtuelle Ordnung» mit der strukturierten Darstellung und den einzelnen Verzeichnungseinheiten ermöglicht nicht nur eine effizientere Erschliessung der Unterlagen, sondern erlaubt nach Abschluss des Gesamtprojekts (beziehungsweise nach dem Ablaufen der Schutzfristen) die Publikation über den Online-Archivkatalog. Sie ist damit letztlich eine Voraussetzung für die zukünftige Forschung im Bestand der Familie Bühler und des Oberhaushofs.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert