Ein Beitrag von Martin Widmer und Elisabeth Joris.
Es ist ein sonniger, kalter Vormittag Anfang Januar 2018. Die Heizung ist ausgefallen und wir sitzen im Mantel am Stubentisch im Oberhaus. Durch das Fenster geht der Blick zwischen Stall und Waschhaus über das Feld und den Schilfgürtel auf den spiegelblanken See, die Bucht von Rapperswil. Stefan Bühler hat uns angefragt, ob wir einen Katalog zur Hinterlassenschaft im Oberhaus schreiben, zu den unzähligen Küchengegenständen, den Spielsachen für Mädchen und Knaben aus mehreren Jahrhunderten, zu den Kleidern, Möbeln, Büchern, Gemälden, Silberbestecken und vielem mehr, was sieben Generationen zurückgelassen haben. So etwas haben wir noch nie gesehen, obwohl wir als freischaffende Historikerin und Historiker während den letzten Jahrzehnten schon in vielen Archiven gearbeitet haben.
Wir haben eine andere Idee: Statt einem Katalog schreiben wir ein Buch über die Geschichte der ländlichen Oberschicht. Denn Rosmarie Bühler-Wildberger, die letzte Bewohnerin des Oberhauses, hat während mehr als 50 Jahren ihres Lebens diese Sammlung nicht nur gepflegt, sondern alles präzise geordnet und den Frauen und Männern zugeschrieben, die vor ihr im Oberhaus lebten. Zugeschrieben im wörtlichen Sinn: Unermüdlich hat sie versucht, von jedem Gegenstand die Geschichte festzuhalten. So hat sie die Aussteuern anhand der Monogramme gebündelt und ihren Vorgängerinnen zugeordnet, mit einem Porträt versehen, den Lebensdaten und dem Namen des allfälligen Ehepartners ergänzt. Diesen feinstofflichen, weiblichen Stammbaum hat sie in einem fünftürigen Glaskasten ausgestellt.
Das Oberhaus bietet alles, um eine exemplarische Geschichte der ländlichen Oberschicht des 18. , 19. und 20. Jahrhunderts zu schreiben, eine Geschichte, in der nicht nur Männer vorkommen, sondern auch Frauen. Stefan Bühler und Annemarie Schneider-Bühler sind von unserer Idee überzeugt und übergeben uns den Schlüssel zum Oberhaus. Während zwei Monaten gehen wir durchs ganze Haus, öffnen Zimmer, Kammern, Kästen und Schubladen, Ordner und Archivschachteln. Wir erarbeiten die Grundlagen für ein Forschungs- und Buchprojekt. Doch bevor wir beginnen können, fehlt etwas Entscheidendes: das Geld für unsere Arbeit. Im April und Mai 2018 schreiben wir Gesuche, an die Gemeinden Stäfa und Hombrechtikon, an den Lotteriefonds des Kantons Zürich und an ein Dutzend Stiftungen. Fortsetzung folgt.
Angaben zu Autor und Autorin
Martin Widmer lebt seit 30 Jahren im Zürcher Oberland. Er arbeitet als Autor und freischaffender Historiker zu verschiedenen Themen der Zeitgeschichte.
www.martinwidmer.ch
Elisabeth Joris ist freischaffende Historikerin und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Alltag und Verwandtschaftsbeziehungen von Familien im 19. und 20. Jahrhundert in Europa, vom Zürcher Oberland bis Sizilien, von den Walliser Alpen bis Norddeutschland.